
Wie sieht die aktuelle Kita-Situation aus? Eigentlich wie immer: niemand weiß genaues, es sei nicht schlimmer als letztes Jahr geworden, aber auch nicht besser. Demzufolge fehlen also nach wie vor mindestens 3000 Kitaplätze oder wenn man den Umfragwerten des IW Köln folgt sind es Berlinweit sogar über 13.000 fehlende Kitaplätze alleine für Kinder unter 3 Jahren. Hauptursache bleibt der Fachkräftemangel. Bis 2025 fehlen bis zu 300.000 Erzieher*innen bundesweit.
Eltern berichten uns immer wieder, dass sie gar nicht mehr auf Wartelisten aufgenommen würden und selbst Jugendämter ihnen keine Hoffnung gäben, weiterhelfen zu können. Wer auf Ebay Kleinanzeigen schaut, sieht wie groß die Verzweiflung unter Eltern mittlerweile ist. Familien bieten hunderte bis tausende Euro für einen Kitaplatz an. In keiner anderen Großstadt lässt sich etwas ähnliches beobachten, was rückschließen lässt, dass die Kitakrise in der Hauptstadt entweder besonders groß ist oder die Kitaplatzvergabe besonders intransparent verläuft. Jetzt warnt schon Transparency International vor Korruption. Auf Anfrage erklärt die Bildungsverwaltung zwar, dass der Verkauf von Kitaplätzen verboten sei, angesichts der gesellschaftlichen Realität wirkt diese Klarstellung ziemlich hilflos.
Nach einer erfolglosen und frustrierenden Kitaplatzsuche klagen immer mehr Eltern einen Kitaplatz ein. Manchmal allerdings ohne einschlagenden Erfolg: trotz erfolgreicher Kitaplatzklagen können Jugendämter zum Teil keine Kitaplätze zuweisen. Eltern bleibt in diesem Fall die Kostenerstattung für anderweitige Ersatzbetreuung, das Einklagen eines Verdienstausfalls oder der erneute Weg zum Gericht: Manche Jugendämter wurden wegen der Untätigkeit schon zu hohen Zwangsgeldern verdonnert.
Damit wird es entgültig teurer keinen Kitaplatz bereitzustellen als unversorgte Kinder und verzweifelte Eltern weiterhin als Kollateralschaden zu behandeln. Kollateralschaden gibt es aber nicht nur für Kinder ohne Kitaplatz. Wir erinnern uns etwa an den krassen Fall der Kita Notenzwerge in Berlin Tempelhof, als über 100 Familien der Kitaplatz gekündigt wurde, weil das Personal fehlte – noch immer haben nicht alle Betroffenen einen neuen Kitaplatz gefunden. Auch für die Erzieher*innen und Auszubildenden eine Horrorerfahrung: zum Teil war eine Erzieher*in mit 40 Kindern alleine. Qualität sieht anders aus.
Überbelegung in Kitas oder ‚1 Kind mehr pro Kita‘ daher als Teil der Lösung für die Kitakrise von Seiten der Bildungssenatorin Scheeres zu verstehen, macht uns regelmäßig ratlos.
In diesem Kontext ist es verständlich, dass viele der Chance beim Gute-Kita-Gesetz hinterhertrauern endlich bundeseinheitliche Standards festzulegen. Apropos: Uns fehlt es aktuell an Transparenz über die Maßnahmen, was mit den Geldern des Gute-Kita-Gesetzes in Berlin passieren soll. Hat da jemand Angst vor Partizipation und weiterer Kritik?

Soweit so schlecht. Wäre da nicht noch das wachsende Raumproblem. So sind vor allem Verbund-Kindertagespflege und Kinderläden von Gentrifizierung und Verdrängung, also dem ganz normalen Mietenwahnsinn, betroffen.
Bis 2021 sollen 22.000 neue Kitaplätze entstehen in der Hauptstadt. In den Innenbezirken fehlt dafür zunehmend Bauland und auch Baufirmen sind knapp und in vielen existierenden Kitas wurden Ruhe- und Funktionsräume bereits in Gruppenräume umverwandelt und nachverdichtet. Viele Menschen aus der Kitaszene warnen, dass nach dem Fachkräftemangel der Raummangel das größte Problem werden wird.
Wir haben da auch eine offene Frage: Gibt es überhaupt genügend Fördergelder für die 22.000 zusätzlich benötigten Kitaplätze? Das aktuelle Landesprogramm sieht für 2019 etwa nur eine Fördersumme von etwa 75 Millionen Euro vor. Wieviele der benötigten Plätze sind aktuell in Planung, wieviele werden schon gebaut? Und wie groß ist die Lücke?
Kitakrise Berlin steht für Chancengleichheit und Gute Kita für Alle. Bereits in der Vergangenheit konnte man nachlesen, dass der Zugang zur Kita nicht für alle Kinder gleichermaßen sichergestellt wird. So gibt eine Kitaleitung im Interview an, keine „schwierigen Kinder“ mehr aufzunehmen.
Wir wissen: das ist leider kein Einzelfall. Kinder mit besonderen Förderbedarf fallen hinten runter. Mehrere Eltern sowie Vereine und Gruppierungen haben uns bestätigt, dass die Teilhabe und Förderung von Kindern mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Berliner Kindergärten nicht sichergestellt sei. Sowohl die Kitaplatzsuche sei erschwert als auch die Qualität eingeschränkt, allem voran verursacht durch fehlendes (Fach) Personal. Uns wurde zugetragen, dass der Fachkräftemangel unter Integrationsfacherzieher*innen besonders ausgeprägt ist. Eine Maßnahme der Senatsverwaltung etwas an dieser unhaltbaren Situation zu ändern ist nicht ins Sicht.
Faire Bildungschancen und -Gerechtigkeit, das sind große Themen, die eine gebündelte Anstrengung bedürfen. Nicht alle Bevölkerungsgruppen haben bisher gleichermaßen vom Kitaplatzausbau profitiert. Festgestellt werden kann bisher, dass der Zugang für Geflüchtete Kinder in die Kita extrem erschwert ist. Kinderbetreuung während der Integrationskurse ihrer Eltern laufen dabei ohne jedwedige Qualitätsstandards ab.
Die Teilhabe von allen Kindern wird durch den Kitaplatzmangel bedroht. Und damit verspielen wir die Zukunft gleich zweier Generationen: die von den Eltern (oftmals Müttern) und ihren Kindern, welche den Lernort Kita gar nicht oder nur zu kurz besuchen können.
Der Bildungsverwaltung sei empfohlen: sprecht mehr mit den Menschen aus der Praxis. Sucht den Dialog mit den Eltern, der Tagespflege und Erzieher*innen! Seid ehrlich! Wir wollen alle Lösungen für die Kitakrise, aber vor allem wollen wir Ernst genommen werden. Natürlich könne wir die Missstände auch weiterhin dokumentieren und skandalisieren. Ehrenamtlich. Aber ganz ehrlich: selbst mit Kitaplatz ist Vereinbarkeit für junge Familien mehr Ideal als Realität.

Willst du dich auch für eine Ende der Kitakrise engagieren? Dann schreib uns eine Email an kitakrisedemo@gmail.com. Wir suchen immer Verstärkung für unser Team 🙂
PS. Wir suchen noch ein bezahltes Praktikum für eine*n angehende*n Erzieher*in (zweites Schuljahr abgeschlossen).