Tarifverhandlungen 2019

Die Tarifverhandlungen (TV-L) in Berlin haben einen Abschluss gefunden, es wurde für den Sozial- und Erziehungsdienst eine deutliche finanzielle Aufwertung erzielt – eine Angleichung an den Tarifvertrag der Kommunen (TvöD). Bessere Gehälter sind eine wichtige (finanzielle) Anerkennung der Arbeit der Erzieher*innen.

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Wir als Initiative KITA KRISE BERLIN bleiben solidarisch und fordern:

  • bessere Bezahlung für Erzieher*innen: 500 Euro sofort, mittelfristig: Gleichstellung mit Lehrer*innen

  • 100% Tarifvertrag für alle

Gute Bildung fängt in der Kita an. Erzieher*innen leisten jeden Tag einen großen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft. Bildungsgerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung oder Beruf sind ohne gut ausgestattete Kindertagesbetreuung nicht umsetzbar. Für ihre Arbeit müssen die Pädagog*innen in den Kitas endlich fair bezahlt werden.

Berlin leidet wie ganz Deutschland unter einem Erzieher*innen-Mangel. Nicht genügend Menschen entscheiden sich diesen tollen und gleichfalls herausfordernden Beruf zu ergreifen oder dauerhaft darin zu arbeiten. Die Folgen sind erheblich: Tausende Eltern finden keine Betreuungsplätze für ihre Kinder. Dabei wissen wir: nur mehr Erzieher*innen bringen auch mehr Kitaplätze.

Aber auch wer einen Kitaplatz ergattert hat, kann sich nicht beruhigt zurücklehnen: Wenn Erzieher*innen etwa wegen Krankheit ausfallen, werden Kinder von ihnen unbekannten Zeitarbeitskräften betreut, Erzieher*innen kümmern sich um die doppelte oder dreifache Zahl an Kindern, oder es gibt gar keinen Ersatz und die Kita bleibt geschlossen. Eltern müssen kurzfristige Ersatzbetreuung finden oder können nicht zur Arbeit gehen. Wir meinen: Berlin kann es sich nicht länger leisten, seine Erzieher*innen so schlecht zu bezahlen.

Die Bezahlung richtet sich in Berlin nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L). Der TV-L wird aktuell neu ausgehandelt. Wir Eltern fordern eine bessere Bezahlung für Erzieher*innen. Wir reden hier nicht von ein paar Prozent oder wenigen hundert Euro mehr, sondern einer echten, spürbaren Verbesserung, die den Beruf finanziell attraktiv macht. Die Arbeit als Erzieher*in muss durch eine bessere Bezahlung aufgewertet werden. Wir fordern mindestens 500 Euro sofort und mittelfristig eine Angleichung an die Bezahlung von (Grundschul-)Lehrer*innen. Die kleinsten Kinder verdienen das beste Personal, und das gibt es nur mit einer anständigen Bezahlung.

Der Tarifvertrag ist für die Kitaträger allerdings nicht bindend: Für die Eltern und Kinder in Berlin ist es nicht nachvollziehbar, dass manche Erzieher*innen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als ihre Kolleg*innen in der Kita um die Ecke. Im schlimmsten Fall bedeutet diese Tarifflucht* eine ständige Personalfluktuation zu Lasten der Qualität & aller Beteiligten: Erzieher*innen, Kinder und Eltern. Wir Eltern fordern einen flächendeckend gültigen Tarifvertrag für alle Erzieher*innen. Kitas müssen so gut ausfinanziert werden, dass die von der Stadt gezahlten Aufwendungen für Erzieher*innen-Gehälter nicht zum Erhalt der Kitas selbst missbraucht werden. Die Tarifflucht* muss im Zuge der Kita-Finanzierung konsequent verhindert werden.

Unsere Forderungen und Positionen im Einzelnen:

1. Erzieher*innenmangel ist Lohnmangel.

Die Kitaplatz-Krise besteht hauptsächlich im Fachkräftemangel. Wer einen Kitaplatz gefunden hat, kennt folgende Situation: Erzieher*innen sind länger krankgeschrieben, kündigen, freie Stellen können über längere Zeit nicht besetzt werden. Für die Kitas kann von einer Personalauswahl kaum die Rede sein. Wir fordern eine Lohngestaltung, die genügend Menschen in den Beruf zieht und hält.

Wissenschaftlich begründete Fachkraft-Kind-Schlüssel sollen faktisch vor Ort eingelöst werden.

2. Frühe Bildung braucht gute und intelligente Betreuung

Dem gewandelten Bild von der frühen Intelligenz der Kinder bei gleichzeitig hoher Bindungs-Bedürftigkeit sollte eine Neu-bewertung ihrer Betreuung und Bildung entsprechen.

Das Verständnis individueller frühkindlicher Entwicklungsprozesse ist stark gewachsen und verwissenschaftlicht. Anforderungen an Erzieher*innen sind gestiegen. Frühe Bildung ist nicht von guter Betreuung zu trennen und ohne gute Betreuung nicht möglich. Gute Betreuung ist die Voraussetzung früher Bildung. Und frühe Bildung braucht waches, kompetentes Fachpersonal. Frühe Bildung braucht gute Bezahlung.

3. Die Jüngsten brauchen die Besten

Die Zahl der unter dreijährigen Kinder in Kitas steigt, das Eintrittsalter sinkt. Das ist eine kurz- und langfristig gesamtgesellschaftlich relevante Entwicklung deren Auswirkungen von der Betreuungs-Qualität mitbestimmt werden. Insbesondere die jüngsten Kinder brauchen eine zuverlässig feinfühlige Betreuung. Die jüngsten Kinder brauchen die besten Pädagog*innen. Die besten pädagogische Fachkräfte gewinnt man durch entsprechend vergleichbar gute Bezahlung.

4. Geschlechter-Gerechtigkeit und Professionalisierung

Nach wie vor arbeiten hauptsächlich Frauen als Erzieher*innen in Kitas. Die mit Bundesmitteln geförderte Studie „Systeme der Elementarerziehung und Professionalisierung in Europa“ hat für die europäischen Länder abgefragt, ob man sich als Alleinerziehende(!) von dem Erzieher*innen-Gehalt ernähren kann.

In Deutschland ist es „beispielsweise als Alleinerziehende in einer Großstadt schwierig, mit dem Gehalt auszukommen.“ Im Jubiläumsjahr des Frauenwahlrechts in Deutschland fordern wir eine gerechte öffentliche Bezahlung von der auch Erzieher*innen Familien ernähren können.

5. Entlastung/Bonus für zuverlässige Vollzeitbeziehungsarbeit

Wir wünschen uns über den Tagesverlauf konstante Bezugspersonen für unsere Kinder. Vollzeitkräfte übernehmen wichtige Beziehungsfunktionen für die Kinder mit langen Betreuungszeiten. Mit der steigenden Zeit, die Kinder in Kitas verbringen (Stichwort Institutionen-Kindheit), verschieben sich Erziehungs- und Bildungsaufgaben aus den Familien in die Kitas. So ist aktuell für Kitas besonders schwierig Personal zu finden, das trotz der hohen Belastung bereit und fähig ist, Vollzeit zu arbeiten. Angebote zur Gesundheits-(Selbst-)Fürsorge und weitere Unterstützung sind notwendig.

6. Besondere Bezahlung für besondere Aufgaben. Vielfalt und Integration/Inklusion und frühe Hilfen

Gesellschaftliche Entwickungen wie Digitalisierung, Arbeitsverdichtung, Globalisierungsbewegungen verlaufen immer schneller und vielfältiger mit entsprechenden Auswirkungen auf die Familien. So bringen die Kinder immer unterschiedlichere Lebenserfahrungen und Familienkulturen mit in die Kita, zwischen denen vermittelt werden muss. Kitas haben auch in diesem Sinn eine immer wichtiger werdende Sozialraum-Funktionen. Auch die allgemein in der Gesellschaft steigenden psychischen Probleme machen sich bei den Kindern bemerkbar. Und es gibt Kinder unter drei Jahren mit besonderen Bedürfnissen für die institutionelle Erfahrungen fehlen. Zeit für Vernetzung, multiprofessionellen Austausch und Weiterqualifizierung sind einzuplanen.

7. Durch Vertretung und Ersatz fehlender Kolleg*innen entstehende Mehrarbeit entschädigen

Eine der größten Belastungen ist die Mehrarbeit der verbleibenden Kolleg*innen, die durch fehlende Kolleginnen entsteht! Diese Mehrarbeit sollte zeitlich/finanziell entschädigt werden, um die Arbeitskraft zuverlässiger zu erhalten.

8. Die Kitakrise als Teil einer Krise des sozialen Zusammenlebens, einer Fürsorge- Wertschätzungskrise

Wer Kitas in der Funktion sieht, Eltern für die Arbeitswelt freizusetzen, wird in diesem Sinn kurzfristig rentable (Mindest-)Gehälter zahlen. Wer frühe Kindheit nur als Vor-Schule betrachtet, wird frühpädagogischen Fachkräften auch nur ein vorstufiges Gehalt zahlen.

Für Eltern, Großeltern und andere bewusste Menschen sind junge Kinder wundervolle, empfindsame Lebewesen, die einen ganz eigenen Wert haben und es verdienen, angemessen behutsam behandelt zu werden.

Wir engagieren uns für eine Gesellschaft, die angemessene Bedingungen schafft für eine gute Qualität sozialen Miteinanders, insbesondere für ihre jüngsten Mitglieder.